Du liegst nicht völlig falsch, wenn Du die Anodenspannung mit gezogenen Endröhren gemessen hast. Das Ergebnis ist halt, dass der Amp kälter eingestellt ist, als Du es vielleicht haben wolltest (zumal bei der Messmethode über dem 1 Ohm-Kathoden-R auch der Schirmgitterstrom mitgemessen wird, siehe unten).
Beispiel: Meine Amps hat in der Endstufe 2 6L6GC. Ptot ist bei dieser Röhre 30W, und ich stelle die Röhren gerne relativ warm so um die 65% ein, macht bei der 6L6GC 30W*0,65=19,5W.
Jetzt ziehe ich die Endröhren raus und messe an Pin 3 440V. 19,5W/440V=44mA. Auf diesen Strom stelle ich jetzt den Amp ein. Wenn ich jetzt die Anodenspannung MIT Röhren messe, messe ich aber nur noch 415V. Damit liegt Pa tatsächlich bei 415V*44mA=18,26W, entspricht nur noch 60%. Der Amp ist also konservativer eingestellt als gewollt. Das muss jetzt keinen großen klanglichen Unterschied machen, kann es aber durchaus.
Um die Verwirrung komplett zu machen: Der eingestellte Arbeitspunkt ist immer noch leicht falsch, weil (wie gesagt) in den o.g. 44mA noch der Schirmgitterstrom drin ist. Sagen wir, das sind 3mA, dann liegt der Arbeitspunkt in Wahrheit bei 415V*(44mA-3mA)=17W, entspricht 57%. Brrr, das ist schon sehr kalt für meinen Geschmack.
Das Ergebnis ist nicht schädlich für den Amp, aber halt of suboptimal für den Klang. Auf jeden Fall ist das Ergebnis immer auf der konservativen und damit sicheren Seite.
Klassisches Beispiel war hier mein alter Blues Deluxe. Von Fender ab Werk sehr kalt eingestellt, liest man im Netz in den vielen BIAS-Anleitungen für die Blues/Hot-Rods sehr oft die Empfehlung Imax=35mA bei einer Anodenspannung von rund 420V. Meiner Meinung nach der Grund für den schlechten Ruf des Amps, weil viel zu kalt. Fährt man den Amp wärmer (ich habe ihn immer auf 45mA eingestellt), blüht er plötzlich auf. Klar, die Endröhren halten dann keine 5-8 Jahre mehr, dafür macht der Amp dann plötzlich Spass.
Letzten Endes alles eine Frage des Geschmacks und der Bereitschaft, die kürzere Lebensdauer der Röhren in Kauf zu nehmen. Wenn Dein Amp gut klingt, so wie er eingestellt ist, prima. Wenn er nicht so toll klingt, etwas kühl und steril, lohnt es sich vielleicht, den Arbeitspunkt zumindest genau auszumessen und zu rechnen.
Gruß, Nils