Hallo,
nach Marshall Plexi Replika oder was es nicht so alles gibt ...
http://www.tube-town.de/ttforum/index.php/topic,10671.0.html gibt es nun ein neues Thema aus dem Kuriositäten Kabinett.
Eigentlich dachte ich, dass ich so ziemlich viel was man erschaffen kann unter den Fingern hatte, die Realität holte mich leider mal wieder auf unangenehm brutale Art und Weise ein.
Doch von vorne:
Ich bekomme eine sehr nette Anfrage, ob ich bei einem Butler Amp aus den USA den Trafo von einem 230V Retrofit-Trafo auf den originalen 110V Trafo zurückbauen könnte. Klar, kein Thema, schaue ich mir gerne an und freute mich darauf, einen neuen seltenen Amp in die Finger zu bekommen.
Die erste Info war: Eigentlich sollte ein Service in D gemacht werden, es wurde dann jedoch der 110V Trafo wohl ungefragt gegen einen 230V getauscht. Dies gefiel aber klanglich nicht, weshalb ich den alten wieder einbauen sollte. Schöner schwerer alter Trafo, jedoch mit drei Füßen, einer war abgebrochen.
Egal, munter den Amp erstmal ausgebaut, ohne vorher einzustecken (was ich fast immer so mache, Sicherheit geht wie man später sieht vor).
Nun war ich schon sehr gespannt. Entweder sollte es zum niederknien werden oder aber halt nicht. Aber seht selbst:
Was mal als erstes auffällt: Das Gehäuse ist mit L-Winkeln im Headshell verschraubt. Dies wiederum mit M4 Schrauben mit Muttern. Ohne Sicherungsringe.
Bitte wundert Euch nicht, wieso da kein Netzkabel dran ist. Glaubt mit, da war eines. Bin mir sehr sicher, aber auch hierzu später mehr.
Nach einem ersten Stirnrunzeln habe ich mir den Amp dann genauer angeschaut. Der arme Besitzer musste sich dann vorkommen wie beim Zahnarzt (er stimmte der Veröffentlichung der Bilder übrigens zu): Oben links kariös, ...
Hier also das erste Detail:
Auf dem Board sind munter verteilt braune Flugmittel-Spratzer wie recht im Bild. Keine Ahnung was da mal war, jetzt ist da aber nichts mehr.
Auch die Lötstellen sehen sehr vertrauenserweckend aus. Gerne einfach die untere Reihe genommen, von rechts nach links ist da nicht wirklich viel Lot. Beinahe alle Lötstellen waren "aufgedrieselt" und "angepappt". Gut, Löten ist nun mal nicht jedermanns Sache.
Aber weiter gehts, einfach mal in die Ecke reingeschaut:
Da gehört auch mal gefegt, Lötspritzer würde ich das nicht mehr nennen. Manch einer verzinnt mit der Menge ne 2,5er Litze.
Gerne wieder gesehen auch hier die braunen Löcher im Board. Wer genau hinschaut findet auch den running gag Nummer zwei: Litzen mit Ritzen => die rote Heizleitung am unteren Bildrand. Kurzschluss ahoi!
Wer da am 30.09.2013 was gemacht hat entzieht sich meiner Kenntnis, Max Butler starb am 25.11.2014 mit 80 Jahren.
Und schon geht es weiter zum nächsten Highlight:
Zur Erinnerung, der Trafo wurde ausgetauscht. Die beiden Schalter (Power, Standby) sind beide einpolig ausgelegt. Standby weil mit dem Schalter DC geschaltet wird (jaja, ich weiß, Marshall macht das schon immer so, ... => es gehört sich nicht, diese Schalter halten solche DC Spannungen auf Dauer nicht aus). Warum jedoch die Netzspannung ebenfalls nur einpolig geschaltet wird kann ich leider nicht sagen. Wäre zur Not noch kein Tod.
Was aber überhaupt nicht geht. Unter keinen Umständen. Niemals.: Wenn man verzinnte Litzen an eine Schraubklemme ranklemmt kann diese sich unter Vibration lösen. Genau das ist hier passiert. Als ich leicht am Netzkabel gezogen habe, hat sich die Litze sofort vom Netzschalter gelöst. Damit wäre eine offen 230V Leitung im Amp rumgefahren.
Derjenige der in Deutschland den Trafo eingebaut hat, hat auch die übrigen Leitungen des Trafos nur abgezwickt und die Isolierung etwas nach vorne gezogen. Das wars dann aber auch, die Leitungen hingen wirklich so frei im Amp rum (orange, rot, schwarz, braun).
Dies war der Punkt, an dem ich den Amp definitiv als gefährlich eingestuft und das Netzkabel ausgebaut habe. Konnte es dann auch recht einfach aus der Zugentlastung rausziehen, die hat auch rein gar nichts gehalten.
Wer jedoch glaubt, die Story ist hier erst zu Ende, der täuscht sich.
Hier hängen Optokoppler mal so im freien rum, dazwischen wieder mal Löbratzen und was mich begeistert ist die rote Leitung im unteren Bildrand, bei der die komplette Isolierung runterhängt. Generell sind viele viele Lötverbindungen so gemacht, dass die Isolierung weggebrannt ist. Ach so, die beiden Widerstände am oberen Bildrand haben praktisch noch nie Lot gesehen. Sozusagen Löten für langsam Lötende.
Die geflochtene Leitung ist übrigens für ein PPIVMV, vermutlich nachgerüstet, da hier komplett anderen Litzen verwendet wurden.
Gerne auch nochmal ein Bild mit noch mehr Lötbratzen:
Oder wer auf Amp Porn steht:
Besonders gut hat mir hier unten rechts im Bild das aufgefrieselte Ende an der R/C Ecke gefallen.
Wo man aber auch erkennen kann, wie sauber gearbeitet wird sind die Verbrennungen an Isolierungen. Manchmal gehts aber auch wirklich eng zu:
Ohnehin finde ich sind Kabelisolierungen völlig überbewertet:
Auch die Löttemperatur und die Lötmenge ist ein frei zu wählendes Thema:
Nun noch was technisches:
Die Erdung der Inputbuchsen ist lediglich über das Gehäuse durchgeführt. Da dies ein Alu Gehäuse ist, sollte man dies so nicht machen. Alu oxidiert und erzeugt damit eine isolierende Schicht. Aus diesem Grund gibt es für Alu spezielle Zahnscheiben, die sich in das Material hinein krallen. Hier wird es aber mit der Zeit zu einem zu hohen Übergangswiderstand kommen. Daher sollte man die Inputbuchsen, an deren Masse ja die eigene Gesundheit hängt, unbedingt sauber mit einer weiteren Litze an einem ordentlichen mit Zahnscheiben (siehe oben) versehenen Massepunkte erden.
Hier noch die Kabeldurchführung und Zugentlastung, die leider gar nichts brachte:
Warum nun dieser Thread?
Ich wollte an der Stelle mal zeigen, warum ich nie einen unbekannten Amp spiele ohne vorher mal reingeschaut zu haben. So etwas ist nun wirklich lebensgefährlich.
Für den Besitzer der Rat bei mir suchte tut es mir sehr leid, da ich durch Entfernen des Netzkabels den Amp definitiv unbrauchbar machen musste. Einmal rechtlich aber auch möchte ich ruhig schlafen können.
Er fragte dann mit letzter Hoffnung noch, wie wir weiter vorgehen wollen und was man noch machen könnte. Meine Antwort war hier leider eindeutig: Ich lange diesen Amp nicht mehr an und entsorgen ist die einzige sinnvolle Möglichkeit. Alles andere vergebene Liebesmühe.
Sein Gesichtsausdruck hat mir wirklich weh getan, aber hier weitere Hoffnung zu machen fände ich auch nicht richtig.
Ich bin mir nur nicht sicher was mich mehr überraschte: Das der Amp so aussah innen, oder dass derjenige der den Trafo umgebaut hat ihn so wieder raus gab.
Eine wichtige Anmerkung noch:
Ich weiß nicht, wer den Amp so bearbeitet hat. Was davon der Hersteller, was ein Bastler oder der Trafo-Tauscher gemacht hat kann ich nicht sagen und möchte ich auch nicht spekulieren.
Mir geht es lediglich darum zu sensibilisieren, dass ein guter Aufbau auch für die Sicherheit unabdingbar ist.
Viele Grüße
Marc